Stephanie Schuster – Interview

Eliza: Liebe Stephanie vielen herzlichen Dank, dass Du bei unserem Special „Deutschland nach 1945“ mitmachst und vielen lieben Dank für Deine Geduld, da sich das Special aufgrund unserer Hochzeit ja nun etwas später als gedacht weitergeht. Bevor wir aber auf das Thema „Nachkriegszeit“ eingehen, möchte ich Dich noch etwas privates Fragen. Wie bist Du überhaupt zum Schreiben gekommen? „Die Wunderfrauen“ sind ja dein erster Roman?

Stephanie Schuster: Erstmal herzlichen Glückwunsch euch zwei! Ich habe viele Jahre als Illustratorin Texte anderer illustriert, bis ich mich daran gewagt habe, selbst zu schreiben. Manche meiner Romane für Erwachsene habe ich dann auch illustriert. Die Wunderfrauen sind mein zehnter Roman, also Nr. 10-13, da es ja eine Trilogie ist.

Zuerst schreibt Stephanie Schuster ihr Bücher per Hand. Copyright: Stephanie Schuster

Eliza: Magst Du uns verraten was Du sonst noch so machst? Hast Du noch eine andere Tätigkeit / Beruf neben dem Schreiben?

Stephanie Schuster: Ich bin Malerin und Illustratorin, zurzeit hauptberuflich Schriftstellerin.

Eliza: Du bist ja ein spätes „Nachkriegskind“, bist Mitte der 60er Jahre geboren. Hat Dich diese Zeit sehr geprägt?

Stephanie Schuster: Ich bin 1967 geboren, wurde allerdings nicht antiautoritär erzogen, wie man als Kind der 70er vermuten könnte. Wie sehr mich die Zeit geprägt hat, merke ich, wenn ich darüber recherchiere. Z. B. Kaugummiautomaten plündern, die Sensation etwas auf Kassette aufnehmen zu können oder der Videorekorder, den Lieblingsfilm wieder- und wiederanschauen zu können. Dass Eltern erst seit 2000 verboten wurde, die eigenen Kinder zu schlagen, habe ich auch erst durch meine Recherche (über Kindesmisshandlung) für einen meiner Romane herausgefunden. In meiner Kindheit und Jugend war es „normal“.

Eliza: Wie kam es dazu, dass Du ausgerechnet einen Roman geschrieben hast, der gut 10 Jahre vor Deiner Geburt spielt?

Pavillion, Copyright Stephanie Schuster

Stephanie Schuster: Ich wollte die Generation meiner Eltern und Großeltern verstehen. Die Aufbruchsstimmung nach dem Zusammenbruch durch den Krieg. Die Traumata, die Verdrängung, aber auch die Zeit des Petticoats, der Besatzer und des Rock’n Rolls.

Eliza: „Die Wunderfrauen“ umfasst ja nur wenige Jahre deutscher Nachkriegsgeschichte. Hast Du persönliche Erfahrungen Deiner Familie oder Freunde einfließen lassen? Das Zeitgeschehen ist sehr dicht, Du musst eine Menge an Quellen gehabt haben, um so intensiv erzählen zu können?

Stephanie Schuster: Ja, ich habe intensiv mein gesamtes Umfeld befragt. Meine Lektorin Carla Grosch vom Fischer Verlag ist mir zur Seite gestanden. Von ihr stammt die Idee zu den „Wunderfrauen“, denn sie ist die Enkelin von Ladenbesitzern, die wie Luise Dahlmann im Roman einen Gemischtwarenladen in der Nachkriegszeit gründeten. Aber auch mein Vater, der wie Marie im Roman aus Schlesien vertrieben wurde, hat einiges mit seinen Erzählungen beigetragen.

Eliza: Wie war die Recherchearbeit? Was hast Du so alles gelesen? Gab es etwas Skurriles mit dem Du absolut nicht gerechnet hast?

Stephanie Schuster: Ich war in den Archiven meiner Heimat, habe in Zeitungen und Magazinen aus der Zeit recherchiert, Sachbücher gelesen und viele Leute interviewt. Dadurch erfuhr ich einiges Unbekanntes über meinen Heimatlandkreis, gerade was die Kriegszeit betrifft, das wird jetzt, nachdem die Zeitzeugen tot sind, erst aufgearbeitet. Erst etwas Erschreckendes: Ich wusste nicht, dass es bei uns ein DP-Camp, ein Camp für Heimatlose, gegeben hat. Dort haben die amerikanischen Besatzer ab 1945 ehemalige KZ-Häftlinge aufgepäppelt, bis die Überlebenden (hauptsächlich Juden) in andere Länder emigrierten. Zuvor war das Camp, das u. a. aus beschlagnahmten Villen, Baracken und „Sturmbannhäusern“ bestand, eine Eliteschule der Nationalsozialisten. Eines Tages fanden die Überlebenden heraus, dass die Matratzen in den Villen mit Menschenhaaren gestopft waren.

Brandstetterhof, Copyright Stephanie Schuster
Blick von Starnberger Ufer Copyright Stephanie Schuster

Skurriles bei der Recherche waren die vielen Erinnerungen von Leuten, die sich an Tante-Emma-Läden erinnerten. Z. B. die Essigälchen im Essig. Da es ja damals noch keine Kühlung gab, wurde Essig und Öl in großen Glasgefäßen verkauft und verdarb dementsprechend schnell. Aber auch die lustigen Aussagen der Kunden, die ich gesammelt habe und die auch Luise in ihrem Ladenkunde-Notizbuch, das im Roman eingearbeitet ist, notiert.

Eliza: Kommen wir zu den Protagonisten. Mit Luise, Annabel, Helga und Marie hast Du sehr unterschiedlichen Frauen Raum in Deinem Roman gegeben. War dir von Beginn an klar, dass Du den Roman aus vier unterschiedlichen Perspektiven schildern willst?

Stephanie Schuster: Ja, das war von Anfang die Idee meiner Lektorin und sie gefiel mir sehr. Unterschiedliche Blickwinkel auf ein Geschehen hat mich gereizt.

Eliza: Gerade Luise bekommt mit ihrem Tante-Emma-Laden sehr viel Aufmerksamkeit. Warum liegt Dir der Tante-Emma-Laden so sehr am Herzen? Was gibt es da für eine Geschichte, die Du mit uns Lesern teilen möchtest?

Stephanie Schuster: In meiner Kindheit und Jugend gab es mehrere Tante-Emma-Läden in unserem Dorf, sie waren nicht nur zum Einkaufen da, sondern auch eine Zentrale, ein sozialer Mittelpunkt, die das Dorfleben geprägt haben. Wen grüßte man, wen durfte man nicht grüßen, weil meine Mutter zerstritten war. Früher war das Einkaufen ein gesellschaftliches Ereignis. Luise, die Hauptfigur im Roman, möchte alles anders machen, als die dominanten Verkäuferinnen in den anderen Läden, darum betreibt sie Konkurrenzforschung. Ihre Gabe ist es, als Köchin den Kunden nicht nur ein Rezept ans Herz zu legen, sondern auch die Zutaten dazu zu verkaufen. Denn das Wichtigste Anfang der 50er Jahre war, was koche ich heute und was zieh ich an, wenn ich abends dem Ehemann das perfekte Menü serviere. Es drehte sich alles um den Ehemann, ihn zu verwöhnen, schien die wichtigste Aufgabe der Frau zu sein. Doch die Emanzipation konnte das zum Glück nicht aufhalten, und „meine“ vier Wunderfrauen machen das auch nicht mit.

Eliza: Mit Konstantin von Thaler und Helga Knaup bringst Du auch die Medizin in deinem Roman unter. Könntest Du Dir vorstellen auch mal einen Arztroman zu schreiben?

Stephanie Schuster: Indirekt ist es auch ein Arztroman, s. Teil 2 von „Die Wunderfrauen“, Von Allem nur das Beste, der am 24. Februar 2021 erscheint. Darin geht es um eine Frauenärztin. Aber ich habe auch schon Rechtsmedizin-Thriller und ein Sachbuch geschrieben, mit Leben und Tod kenne ich mich (rein schriftstellerisch) ein wenig aus.

Schloss Leutstetten, Copyright Stephanie Schuster

Eliza: Mit Marie Wagner bekommen Geflüchtete aus Schlesien (stellvertretend für viele anderen Menschen) ebenfalls einen Raum. Kennst Du persönliche Schicksale, die Du in Deinem Roman verarbeitet hast?

Stephanie Schuster: Siehe obige Frage. Mein Vater stammt aus demselben Dorf wie Marie Wagner, aus Niederschlesien. Ihre Geschichte ist die meiner Familie, aber auch die von anderen Vertriebenen. Die Betroffenen nennen sich selbst nicht Flüchtlinge, sie wurden aus ihrer Heimat vertrieben, sind nicht geflohen, das ist ein wichtiger Unterschied für sie.

Luises Moped, Copyright Stephanie Schuster

Eliza: Meine Lieblingsfigur ist Manni (Manfred) Brandstetter, der Bruder von Luise. Er ist geistig behindert und eine toll ausgearbeitete Figur, die man sofort ins Herz schließt. War Dir diese Figur besonders wichtig? Hat sie vielleicht sogar ein Vorbild?

Stephanie Schuster: Das freut mich, das ist auch eine meiner Lieblingsfiguren. Manni, einen Bauernsohn mit Trisomie, gab es in unserem Dorf wirklich. Dass er Sonnenlicht in Flaschen sammelt, hat sich mein Mann Thomas (mit dem ich alle unsere Romane plotte) ausgedacht.

Eliza: Welche Botschaft möchtest Du mit Deinen „Nachkriegs-Büchern“ vermitteln?

Stephanie Schuster: Hoffentlich Lesevergnügen, in den Älteren vielleicht Erinnerungen wecken, bei den Jüngeren Neugier für die Zeit der Eltern und Großeltern. Wie wurden wir, was wir sind.

Eliza: Darfst Du uns schon etwas zu Deinem neuen Roman erzählen? Oder was für Pläne hast Du noch? Gibt es ein Thema, über welches Du unbedingt schreiben willst?

Stephanie Schuster: Teil 2 der Wunderfrauen „Von Allem nur das Beste“ erscheint im Feb. 21 und spielt in den 60er Jahren. Teil 3 „Freiheit im Angebot“ erscheint im Sept. 21 und spielt in den 70er Jahren. Ich lass mich mal überraschen, welches Thema mich nach der Wunderfrauen-Trilogie anspringt.

Eliza: Vielen Dank für das Interview!