Petra Schier, Interview

1. Autorin!? Schon immer ein Traumberuf oder stand als Kind etwas ganz anderes auf der Wunschliste? Wie kam es bei Ihnen zum Schreiben?

Ich habe schon als Kind geschrieben, anfangs Tagebuch, später als Teenager dann auch schon Kurzgeschichten und Versuche von Jugendromanen. Außerdem war ich eine extreme Leseratte. Während des Abiturs verfasste ich bereits meinen ersten historischen Roman, die „Urmutter“ der Kreuz-Trilogie („Die Eifelgräfin“, „Die Gewürzhändlerin“ und „Die Bastardtochter“), die viele Jahre später in vollkommen neu verfasster Form bei Rowohlt erschienen ist.
Mein mehr oder weniger heimlicher Traum war es also definitiv, einmal Schriftstellerin zu werden. Ich habe dann aber, weil man ja vernünftig sein soll, zunächst auf Lehramt (Grund- und Hauptschulen) studiert, später dann zu Literatur und Geschichte gewechselt, aber schon während des Studiums festgestellt, dass beides nicht wirklich zu mir passt. 2002/03 kam ich in Kontakt mit einem Verleger hier in der Eifel, der nach einer Lektorin suchte, und da habe ich spontan zugesagt. Ich wurde recht schnell das „Mädchen für alles“, denn das Verlagsteam war nur klein (5 Personen zu Spitzenzeiten). Dort habe ich von der Pike auf das Verlegen und alles Drumherum gelernt, und das empfinde ich heute noch als riesigen Vorteil vor allen KollegInnen, die nur die Autorenseite kennen. Einige Kinderbücher aus meiner Feder sind zu dieser Zeit auch entstanden und in Kooperation mit großen Verlagen wie (damals noch) Pabel Moewig und Urania erschienen.
Fast zeitgleich kam ich auch mit einem Literaturagenten in Kontakt, sodass ich bereits 2005 meinen ersten historischen Roman bei Rowohlt veröffentlichen konnte. Das Studium hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits auf Eis gelegt und später dann komplett abgebrochen, weil ich einfach wusste, dass ich am richtigen Ort angekommen war: dem Vollzeit-Schreiben. Denn so schön die Zeit beim Verlag Eifelkrone auch war, nach einigen Jahren war klar, dass dort für mich nur eine Zwischenstation sein würde auf dem Weg zu meinem eigentlichen Ziel, dem Leben als hauptberufliche Autorin.

2. Was war die Initialzündung zu Ihrem neuen Roman?

Das ist eine gute Frage, über die ich erst einmal eine Weile nachdenken musste. Eine Initialzündung kann man das vielleicht nicht nennen, denn dazu war der Übergang von mehreren Ideenansätzen zur Planung einer vierteiligen Reihe zu fließend.
Nach Abschluss meiner sechsteiligen Adelina-Reihe wollte ich zwar den Schauplatz Köln nicht verlassen, jedoch keine „zweite Adelina“ erschaffen, sondern etwas vollkommen Neues. Also habe ich in der Kölner Stadtchronik geblättert und mir Inspiration in den dortigen Einträgen gesucht. Was immer wieder ins Auge sticht, wenn man sich mit der Kölner Geschichte befasst, ist der „Kölsche Klüngel“, den es nicht nur heute gibt, sondern der im Grunde schon immer existierte. Das brachte mich auf die Idee, eine Geschichte zu schreiben, die genau unter dieser Prämisse steht, also dem Klüngel, den Intrigen, dem Gemauschel, das auch im 15. Jahrhundert in Köln an der Tagesordnung war. Außerdem reizte es mich, über eine Frau zu schreiben, die zu jener Zeit glücklich verheiratet ist, dann aber nach dem Tod ihres Gemahls erfahren muss, dass er in Wahrheit ein ganz anderer Mensch gewesen ist, als sie und ihre Familie geglaubt haben. In meinem Roman muss die Protagonistin Aleydis sich nicht nur damit auseinandersetzen, dass ihr Gemahl womöglich ein skrupelloser Verbrecher gewesen ist, sondern auch mit seinem Erbe fertigwerden: einer Schattenwelt, von der sie zuvor nicht die geringste Ahnung hatte. Aus der anfänglichen vagen Idee wurde dann rasch ein genaues Bild: Ich wollte so etwas wie den ersten Kölner „Mafioso“ erschaffen und meine Heldin mit den Auswirkungen konfrontieren, die sein Wirken ebenso wie sein Tod auf ihr Leben und das vieler anderer Menschen hat.

3. Wann und wo schreiben Sie am liebsten? Wie muss die Stimmung sein? Haben Sie einen genauen und geregelten Plan, oder schreiben Sie wie es gerade passt?

Ich schreibe, wenn irgend möglich, sehr diszipliniert ca. 10 Seiten pro Tag an fünf Tagen in der Woche. Dabei hab eine Seite zwischen 300 und 330 Wörter. Bevorzugt schreibe ich vormittags ab 8 Uhr und bin auf diese Weise normalerweise zwischen 11 und 13:30 Uhr mit dem Pensum fertig. Sinnvollerweise lasse ich mich während dieser Schreibzeit nicht von E-Mails, dem Telefon oder gar den sozialen Netzwerken ablenken, sondern höre ggf. lediglich die passende Musik zum Buch, die von Manuskript zu Manuskript je nach Gefühl und Thema sehr unterschiedlich sein kann. Für schnelle Recherchen zwischendurch lasse ich auch einen Tab des Webbrowsers geöffnet, meistens mit der Google-Suchmaske.
Am wohlsten fühle ich mich beim Schreiben in meinem Arbeitszimmer, ganz selten weiche ich aber auch (bei gutem Wetter) auf die Terrasse aus oder ins Bett, wenn ich krank bin.
Wenn ich auf die passende Schreibstimmung warten würde oder darauf, dass es gerade passt, würde ich im Leben keinen Roman fertigschreiben. Schreiben ist zehn Prozent Talent (ohne die es natürlich nicht geht) und 90 Prozent Handwerk und harte Arbeit, die man, wie jeden Beruf, erlernen und trainieren muss. Auch die Disziplin, sich täglich hinzusetzen und zu schreiben (es müssen ja nicht gleich zehn Seiten sein), kann man sich anerziehen. Da ich zu den absoluten Vielschreiberinnen gehöre, muss ich mich vernünftig organisieren, damit mir unterm Strich auch noch ausreichend Zeit zum Leben und Atmen bleibt. Denn mit dem reinen Schreiben ist es ja nicht getan. Da kommen Lektorate, Fahnenkorrekturen und der riesige Bereich des Marketings hinzu, den AutorInnen zunehmend selbst in die Hand nehmen müssen, weil die Verlage sich zumeist auf wenige Spitzentitel konzentrieren bzw. weil vielleicht gar nicht in einem Verlag publiziert wird, sondern als Selfpublisher. Ich tue übrigens beides parallel, veröffentliche also in großen Publikumsverlagen und auch verlagsunabhängig, Letzteres hauptsächlich unter meinem Pseudonym Mila Roth.

4. Die Recherche ist für einen Roman sehr wichtig, was können Sie uns dazu verraten? Wie viele Notizbücher schreiben Sie voll, bis daraus ein Roman wird?

Keine Notizbücher, sondern eher College-Blöcke. Es ist aber sehr unterschiedlich, wie intensiv ich recherchieren muss. Wenn es um das späte Mittelalter geht, muss ich inzwischen nur noch spezielle Details recherchieren, weil ich mich mit der damaligen Lebenswelt nach etlichen Romanen bereits sicher auskenne.
Wenn ich aber, wie bei „Der Hexenschöffe“ oder „Das Haus in der Löwengasse“ in neue Epochen eintauche, benötige ich ungleich mehr Zeit, weil ich mich ja vollständig neu einlesen muss, um das Leben und Empfinden der Menschen einer bestimmten Zeit so glaubhaft wie nur möglich darstellen zu können.
Bei solchen Recherchen stolpere ich nicht selten über spannende Details, die ihren Weg möglicherweise später in einen ganz anderen Roman finden.
Grundsätzlich ist es so, dass ich immer mindestens zehnmal mehr recherchiere, als am Ende tatsächlich in das Manuskript hineinfließt. Doch all das, was nun vielleicht auf den ersten Blick als überflüssige Recherche erschienen mag, ist dennoch wichtig, denn nur, wenn man ein umfassendes Bild einer Epoche im Kopf hat, kann man die Figuren des Romans wirklich lebensecht denken, handeln und fühlen lassen.


5. Wie viele Fach- und Schachbücher haben Sie für diesen Roman gelesen, um den Background der Geschichte abzudecken?

Für „Das Gold des Lombarden“? Sie werden lachen, nur zwei. Außerdem noch einige wissenschaftliche Aufsätze und Quellen zu bestimmten Themen, wie dem Geldwechsel- und Sicherheitenwesen des späten Mittelalters. Wie oben bereits erwähnt ist es von immensem Vorteil, wenn man bereits viele Romane geschrieben hat, die in derselben Epoche und noch dazu in derselben Stadt spielen. Damit ist der Grundstock bereits gelegt und man kann sich auf die notwendigen Details konzentrieren.

6. Haben die Schauplätze in Ihren Romanen immer reale Vorbilder und wenn ja, haben Sie diese auch besucht? Gab es etwas Lustiges auf einer Recherchereise, dass Sie uns verraten würden?

Die Schauplätze in „Das Gold des Lombarden“ kann man zum größten Teil heute noch besuchen/besichtigen, denn Kölns Straßen, Plätze und die historischen Gebäude haben ja zu einem großen Teil immer noch Bestand. Wenn ich es für nötig halte, fahre ich natürlich auch dorthin, um mir bestimmte Begebenheiten vor Ort anzusehen. Aber auch hier ist es wie oben erwähnt: Das Meiste weiß ich schon von früheren Recherchen. Leider kann ich, was lustige Erlebnisse angeht, so gar nichts beisteuern, da mir bisher nie etwas Besonderes oder Witziges passiert ist.

7. Haben Sie eine persönliche Lieblingsfigur in diesem Roman?

Nicht nur eine, denn im Grunde mag ich jede einzelne Figur sehr, sehr gern, weil sie alle auf ihre Weise einzigartig sind. Neben den beiden Hauptfiguren Aleydis und Vinzenz, die sich so herrlich streiten können, hat mich der kleine Straßenjunge Lentz immer wieder zum Lachen gebracht, Cathreins Schicksal mich tief berührt. Den guten Symon (Knecht in Aleydis‘ Hauhalt und Eunuch) hätte ich gerne ab und zu geknuddelt, mich mit der scharfäugigen Alba zu einem Klaaf zusammengesetzt und mich sogar mit der abergläubischen Köchin Ells über die Bedeutung von Elstern gezankt.

8. Entwickeln sich die Figuren immer so wie man es geplant hat? Oder haben die Figuren manchmal ein Eigenleben?

Manchmal? Grundsätzlich! Zwar habe ich die Charaktere immer einigermaßen vor Augen, wenn ich mit dem Schreiben beginne, aber wenn sie sich nicht allesamt spätestens auf Seite 50 verselbstständigen, dann stimmt etwas mit meinem Manuskript nicht.
Tatsächlich warte ich geradezu auf den Moment, in dem die Figuren die Regie übernehmen und ich quasi nur noch mitschreiben muss. Denn genau ab diesem Zeitpunkt weiß ich, dass die Figuren für die LeserInnen lebendig und greifbar sein werden.
Ich plane einen Roman immer nur als Gerüst, aus dem ich auch das Exposé für den Verlag erstelle. Doch mehr als ein roter Faden ist das für mich nicht. Ich weiß, wo ich hin will, aber das Wie entscheidet sich zum größten Teil während des Schreibens.

9. Lesen Sie Buchkritiken oder Rezensionen? Wenn ja, wie gehen Sie damit um?

Ja, ich lese Rezensionen, allerdings aus Zeitmangel längst nicht alle. Über die guten und sehr guten freue ich mich natürlich riesig, bei negativer Kritik schaue ich erst einmal hin, wie sie geäußert wird und aus welchem Grund. Wenn jemandem mein Buch einfach nicht gefallen hat, dann ist das vollkommen okay für mich. Ich kann nicht den Geschmack jedes einzelnen Lesers und jeder einzelnen Leserin treffen, das ist schlichtweg unmöglich. Geht es um ganz spezielle Dinge oder gar (vermeintliche) Fehler, dann behalte ich diese im Hinterkopf. Zumindest dann, wenn die Kritik wirklich gerechtfertigt ist. Rezensionen, die lediglich darauf ausgerichtet sind, Unfrieden zu stiften oder mich unterhalb der Gürtellinie zu treffen, ignoriere ich weitgehend, es sei denn, sie wären derart unverschämt, dass ich den Verlag einschalten müsste. Glücklicherweise ist mir so etwas bislang erspart geblieben.
Antworten schreibe ich in aller Regel nicht auf (negative) Kritiken, es sei denn, ich kann einen Kritikpunkt freundlich und belegbar sofort widerlegen. Auf diese Weise konnte ich sogar schon interessante Gespräche bzw. Mailwechsel mit Kritikern führen.
Insgesamt muss man/frau sich als AutorIn auf jeden Fall ein Fell von ausreichender Stärke zulegen, denn auch einfach ehrlich gemeinte Aussagen wie „Das hat mir überhaupt nicht gefallen“ können schmerzhaft sein. Ebenso hart können manche Formulierungen treffen, die darauf abzielen, wie (aus Sicht des Kritikers) minderwertig die Story, die Sprache, die Figurenentwicklung oder was auch immer sind. Viele Menschen nehmen in dieser Hinsicht kein Blatt vor den Mund und machen sich auch nicht die Mühe, sich höflich auszudrücken. Als Autorin muss ich einfach lernen, darüber zu stehen, das mitzunehmen, was mir plausibel erscheint, und das, was als Gemeinheit gedacht ist, auszublenden und mich stattdessen an den Leserstimmen zu erfreuen, die sich positiv oder gar begeistert über mein Buch äußern. Das ist meine Zielgruppe und die ist glücklicherweise in erfreulicher Überzahl.