Liebe Melanie, vielen herzlichen Dank, dass Du so bereitwillig zugestimmt hast, uns unseren Fragen zu stellen. 😊
Wie bist Du überhaupt zum Schreiben gekommen? Denn neben dem Schreiben gehst Du ja noch einem anderen Beruf nach?
Ich habe schon seit meiner Kindheit gern Geschichten erzählt und als ich schreiben konnte, schon in der Grundschule die ersten Geschichten verfasst. Als das Internet die Möglichkeit bot, sich zu vernetzen, begann ich bei Kleinverlagen Kurzgeschichten in Anthologien zu schreiben und habe auch 2008 meinen ersten Roman (Die Kinder der Feuersäule), ein Fantasy-Buch, das mittlerweile vergriffen ist, veröffentlicht. Dadurch konnte ich immerhin schon etwas vorweisen und fand dann eine Agentur, die mich bei Piper unterbrachte, wo meine Sündenheilerinnen-Reihe erschien. Das war der Anfang. Inzwischen bin ich mit 26 Buchveröffentlichungen dabei – das Schreiben ist von einem Hobby zu einem lukrativen Nebenjob geworden.
Wie vereinbarst Du die beiden Arbeitsbereiche, ist es ein Art Ausgleich?
Ja, das Schreiben war schon immer mein Hobby, insofern ist das auch schon für sich ein Ausgleich zu meiner Arbeit als Ärztin.
Du bist ja ein spätes „Nachkriegskind“, bist Ende der 60er Jahre geboren. Hat Dich diese Zeit sehr geprägt?
Ich hatte das große Glück, dass mein Vater – Jahrgang 1932 – mir viel von der Zeit erzählt hat. Und ich hatte weiterhin das Glück, dass meine ganze Familie recht offen mit der Kriegs- und NS-Zeit umgegangen ist, weil sie sich nichts vorzuwerfen hatten – sie konnten unbefangen davon erzählen.
Wie kam es zu der Idee um die „Hafenschwester Martha“?
Meine Tante, die Schwester meines Vaters, meinte mal, dass ihre Oma ja schon ein bemerkenswertes Leben hatte – von der Cholera in Hamburg bis zur Sturmflut hat sie alles mitgemacht – sie hat dreimal im Leben alles verloren (Hyperinflation 1923, 2. WK Ausbombung, Sturmflut 1962) und ist trotzdem 93 Jahre alt geworden. Sie hat all das immer in Hamburg erlebt und überlebt. Das hat mich inspiriert, ihre Lebensdaten als Anhaltspunkt für meine fiktive Martha zu nehmen, weil ich einer fiktiven Figur mehr interessante Erlebnisse andichten konnte, als einer realen Persönlichkeit.
Der erste Teil Deiner Hafenschwester-Saga beginnt Ende des 19. Jahrhunderts. War die Recherche eher schwer oder einfach im Vergleich zu den anderen beiden Bänden?
Die Recherchen waren alle ziemlich gleich schwer. Wenn man weiß, wo man die richtige Literatur findet, läuft es ganz gut. Ich habe für alle Zeitabschnitte eine umfassende Bibliothek angelegt. Zum Teil nenne ich wichtige Quellen auch in den Nachworten der Bücher, falls jemand die Themen für sich selbst weiter vertiefen möchte.
Gab es etwas Skurriles, mit dem Du absolut nicht gerechnet hast, was Dir während der Recherche über den Weg „gelaufen“ ist?
Kurt Vorpahl, ein Mann, für den es hier um die Ecke einen Stolperstein gibt. Der wurde wegen Hochverrats verhaftet, dann wurde das Gefängnis bombardiert. Er wurde dann im Juli 1943 bis September auf freien Fuß gesetzt. Anstatt abzuhauen, kehrte er im September brav zurück in die Haftanstalt und wurde 1944 hingerichtet … Diesem Mann habe ich u.a. ein Denkmal setzen wollen.
Der zweite Teil deiner Saga spielt größtenteils während des Ersten Weltkriegs, war es schwer über dieses Thema zu schreiben?
Es war deutlich komplizierter, die Hintergründe zum Ersten Weltkrieg zusammenzufassen als beim Zweiten Weltkrieg, weil Anfang und Ende komplexer waren. Letztlich ist vielen Leuten nicht bekannt, dass die deutsche Bevölkerung massiv streikte und für den Frieden demonstrierte, damit der Krieg beendet wurde. Nur deshalb hat der Kaiser abgedankt. Aber das wurde dann alles vergessen und die großen Leistungen der Bevölkerung, sich selbst eine Demokratie zu schaffen, gerieten in Vergessenheit. Zudem fühlten sich die deutschen Sozialisten auch vom Friedensvertrag von Versailles verraten – sie hatten gehofft, dass die Sozialisten anderer Länder sie unterstützen würden beim Aufbau der Demokratie. Stattdessen nahm man ihnen alles weg und das gipfelte in der völkerrechtswidrigen Ruhrbesetzung durch Frankreich und Belgien, die in der Hyperinflation mündete. Hätte man Deutschland schon nach dem 1. WK so unterstützt und wieder eingegliedert wie nach dem 2. WK wäre Hitler niemals an die Macht gekommen. Daraus haben die Siegermächte dann nach dem 2. WK gelernt.
Der Ausflug nach Amerika in diesem zweiten Teil hat mir sehr gut gefallen. Hat dir dieser Abschnitt auch beim Schreiben so viel Spaß gemacht? Bist Du ein Amerika-Fan?
Ja, es hat mir großen Spaß gemacht, diese Traumschiffreise und das Leben in New York zu beschreiben. Ich selbst war aber noch nie in Amerika. Ich glaube, die große Zeit der USA ist vorbei – Trump hat sie nachhaltig beschädigt.
Der dritte und letzte Teil Deiner Saga (was ich wirklich sehr bedauere) spielt in der Zeit der Weimarer Republik und zur Zeit des Nationalsozialismus. Hier bekommen nun Marthas Kinder mehr Raum in der Erzählung. Welche Figur liegt Dir besonders am Herzen?
Fredi, weil er ohne viel Aufhebens zu machen das Richtige tut und immer für alle da ist, ohne sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Er wird dicht gefolgt von seiner Frau Henny und seiner Schwester Ella, die ebenfalls beide das Richtige in schwierigen Zeiten tun. Und ohne die beiden wäre er auch nie so weit gekommen.
Meine Lieblingsfiguren sind Ella und Henny. Beide haben es nicht einfach und gehen dennoch ihren Weg. Besonders ihre Entwicklung in dem Roman hat mich sehr eingenommen. Wie wichtig ist Dir die Entwicklung Deiner Figuren?
Die Entwicklung der Figuren ist das allerwichtigste. Ein Roman lebt du seine Charaktere. Für mich müssen die Figuren lebendig sein, sodass ich über sie reden kann, als wären sie real existierende Menschen.
Haben auch Marthas Kinder, Schwiegerkinder und Enkel reale Vorbilder?
Keine einzelnen Personen. Sie sind eine Subsummierung aus verschiedenen Menschen, die damals lebten.
War es Dir wichtig, diesen dritten Teil der Saga genau so zu schreiben oder hast Du Deine Pläne während des Schreibens noch einmal geändert?
Es war mir von Anfang an klar, dass die Geschichte genau so abläuft – also auch die Entwicklungen von Rudi, Ella und Fredi und wie sie zusammenstehen oder auch manchmal entgegenstehen. Das Ende war auch schon vorher klar.
Gerade Fredi treibt ein gefährliches Spiel, welches Du ganz großartig geschildert hast. Dies war sicherlich sehr schwer schreibtechnisch umzusetzen, oder?
Für Fredis doppeltes Spiel musste ich sehr viel recherchieren. Das was er macht, beruht auf realen Hintergründen und wäre so durchaus möglich gewesen.
Im dritten Teil endet auch die Reise für einige Figuren, was aber in Anbetracht der historischen Ereignisse zu erwarten war. Ist es Dir dennoch schwer gefallen?
Ich muss gestehen, ich habe dafür gesorgt, dass von meinen Lieblingsfiguren nur jene sterben, die schon ein gutes Leben hatten – auch wenn es in einigen Fällen vielleicht etwas zu kurz war. Aber es war erfüllt.
Ein Papagei spielt ebenfalls eine wichtige Rolle im dritten Band. Er sorgt immer wieder für Erheiterung. Magst Du Tiere oder wie ist Dir die Idee dazu gekommen?
Ich liebe Tiere und da Heinrich sich Lora schon als Schiffsjunge 1894 zulegte, war klar, dass der uns länger erhalten bleiben würde, da Papageien ja sehr alt werden. Deshalb bekommt Lora immer mal wieder eine kleine Rolle.
Der medizinische Anteil in Deinen Büchern ist erfahrungsgemäß recht hoch. Ist Dir dies ein spezielles Anliegen?
Ja, ich finde die Medizingeschichte sehr spannend, vor allem fand ich es in Band 2 auch spannend, wie viele der OPs, die man damals entwickelte, noch bis heute so durchgeführt werden, z.B. Nasenrekonstruktionen.
Was ist/war Deine schriftstellerische Intension? Was möchtest Du uns Leser*innen noch sagen?
Ich möchte einfach einen Einblick in die deutsche Geschichte bieten, der nicht von Vorwürfen oder Mahnen geprägt ist, sondern anhand von Menschen beschreibt, wie sich bestimmte Dinge entwickeln konnten und wie es zu all dem kommen konnte – wo wurden Fehler gemacht, wo hätte die Geschichte einen anderen Lauf nehmen können, damit man darüber nachdenkt und es in der Zukunft besser macht.
Darfst Du uns schon etwas zu Deinem neuen Roman erzählen? Oder was für Pläne hast Du noch? Gibt es ein Thema, über welches Du unbedingt schreiben willst?
Im Augenblick bin ich mit der Fortsetzung der Gut Mohlenberg-Reihe befasst. Friederike von Aalen, die man aus „Mehr als die Erinnerung“ kennt, wird noch drei weitere Abenteuer erleben, Band 2 erscheint am 21.12.2021 und heißt „Mehr als die Finsternis“. Der spielt 1923. Der Abschlussband wird 1957 spielen – und das ist dann ein ganz besonderer Band, weil Friederike von Aalen dort Richard Hellmer hilft und außerdem mit Fredi, der dann noch immer als Hauptkommissar beim Morddezernat arbeitet, einen Fall aufklärt. Da werden also drei Reihen in einem Cross-Over noch mal zusammengeführt.
Vielen herzlichen Dank für dieses tolle Interview 🙂