Lilli Beck, Interview

Eliza: Liebe Lilli vielen herzlichen Dank, dass Du bei unserem Special „Deutschland nach 1945“ mitmachst. Bevor wir aber auf das Thema „Nachkriegszeit“ eingehen, möchte ich Dich noch etwas privates Fragen. Du hast als junge Frau im Model-Business gearbeitet, hast für namhafte Zeitschriften das Cover geziert. Denkst Du gerne an diese Zeit zurück? Und was wird Dir immer besonders in Erinnerung bleiben?

Lilli: Im Rückblick war es eine aufregende Zeit, in der ich viel auf Reisen war, dabei die Welt gesehen und auch noch gut verdient habe. Mein Gesicht und meine Figur entsprachen dem damaligen Geschmack der Modefirmen und Werbeindustrie. Aber ich hatte einfach nur Glück und war zur richtigen Zeit in der damaligen In-Disco Blow Up, wo mich eine Modelagentin entdeckt hat. Heute ist das „Theater der Jugend“ dort untergebracht. Das Model-Business der 1960er und 1970er Jahre ist jedoch nicht mit dem von heute zu vergleichen. Vor allem hat es überhaupt nichts mit dieser RTL-Castingshow zu tun, in der Mädchen aufs Übelste ausgenutzt und zwecks Quotensteigerung regelrecht verbraten werden. Damals war die Branche auch nicht so international, man hat fast ausschließlich mit deutschen Fotografen gearbeitet, und wurde von ihnen für Auslandsreisen gebucht. Insgesamt war es ziemlich familiär, in machen Studios hat die Frau des Fotografen Mittagessen gekocht und Nachmittags gab es Kuchen.

Eliza: Du bist dann hinter die Kamera gewechselt und hast mit dem Schreiben angefangen. Wie kam es ganz genau dazu?

Lilli: Während meiner Modelzeit habe ich regelmäßig Tagebuch geschrieben. Wenn ich heute darin lese, waren das meine ersten Schreibversuche. Als meine Tochter fünf oder sechs Jahre alt war, habe ich mit Kindergeschichten angefangen und die auch an einen Verlag geschickt. Auch wenn sie nicht veröffentlicht wurden, das Feedback war sehr positiv, was mich zum Weiterschreiben ermutigt hat.

Eliza: Du bist ja ein „Nachkriegskind“ (wie meine Eltern). Hat Dich diese Zeit sehr geprägt?

Lilli: Diese Mangelzeit ging wohl an keinem Nachkriegskind spurlos vorbei. Die 50er Jahre waren unbequem wie ein enges Korsett, das die meisten Frauen noch trugen, und voller überkommener Moralvorstellungen. Frauen, die auf der Straße rauchten, wurden als „Bordsteinschwalbe“ (Prostituierte) beschimpft, vorehelicher Sex war undenkbar, ein uneheliches Kind bedeutete die Ächtung von Familie und Gesellschaft und Hoteliers oder Zimmervermieter wären wegen Kuppelei angeklagt worden, hätten sie einem unverheirateten Paar ein Zimmer vermietet. Das vielgerühmte Wirtschaftswunder war weitaus weniger spektakulär, als Filme oder TV-Serien uns das vorgaukeln.

Quelle: Lilli Beck

Der angebliche Wohlstand kam in der Mittelschicht und bei den Arbeitern erst in den 1960er Jahren an. Beispielsweise gab es bis 1950 noch Brotmarken. In meiner Familie war Überfluss ein Fremdwort. Ich erinnere mich, dass wir Weihnachten immer einen Korb mit Delikatessen hatten, u.a. waren zwei Dosen Ölsardinen dabei, ein echter Luxus, der auf fünf Personen verteilt wurde. Ich würde niemals Lebensmittel wegwerfen, und kann mich nicht erinnern, jemals eine Tafel Schokolade für mich alleine gehabt zu haben. Die musste ich mit zwei Geschwistern teilen. Es fällt mir heute noch sehr schwer, eine Tafel nicht sofort aufzuessen. Wir lebten zu Fünft in einer kleinen 2-Zimmer-Wohnung, hatten erst 1960 einen Fernseher und Telefon kam 1970 ins Haus. Unser Medium war das Radio und Bücher, Bücher, Bücher.

 

Eliza: War für Dich immer klar, dass wenn Du ein Buch schreibst, dass es genau in dieser Zeit spielen sollte, in der Du aufgewachsen bist?

Lilli: Angefangen habe ich mit Frauenromane, und insgesamt sieben verfasst, bevor ich mit „Glück und Glas“ in die Nachkriegszeit gewechselt bin. „Wie der Wind und das Meer“ war mein zweiter Nachkriegsroman. Ein alter Lederkoffer, den ich auf dem Dachboden meiner Mutter fand, und eine lädierte Puppe vom Flohmarkt waren die Initialzündung für den Anfang. Aber eine ungefähre Idee ergab sich bereits durch die Recherchen zu „Glück und Glas“, als ich auf einen Artikel über Kinder stieß, die durch den Krieg ihr Eltern verloren.

Ende des Zweiten Weltkrieges gab es in Deutschland rund 500.000 Kriegswaisen und ca. 20 Millionen Halbwaisen, deren Väter gefallen oder vermisst waren. Allein die Zahlen sprengen jede Vorstellungskraft, sich das Leid der Kinder vorzustellen ist kaum möglich.

Eliza: „Wie der Wind und das Meer“ umfasst ja mehrere Jahre deutscher Nachkriegsgeschichte. Hast Du da auch persönliche Erfahrungen von Dir, Deiner Familie oder Freunden einfließen lassen?

Lilli: Persönliche Erlebnisse aus meiner Schul- und Modelzeit habe ich bereits in „Glück und Glas“ einfließen lassen. Die Geschichte von Paul und Sarah ist rein fiktiv.

Quelle: Lilli Beck

Eliza: Wie war die Recherchearbeit? Was hast Du so alles gelesen? Gab es etwas Skurriles mit dem Du absolut nicht gerechnet hast?

Lilli: Die historischen Hintergründe hatte ich schon für „Glück und Glas“ recherchiert. Aber bei den Recherchen zum Wiederaufbau des Münchner Großmarkts, der bis auf ein paar Mauerreste komplett zerstört war, kam ich in Kontakt zu einem ehemaligen Händler, der als junge Mann mit seiner Familie dabei war. Er hat mir  berichtet, wie mühsam die ersten Jahren waren, dass kleine Tante-Emma-Läden teilweise zwei Mal täglich mit dem Fahrrad beliefert wurden. Diese Läden hatten keine Kühlräume, weshalb sie Waren nur bedingt in Kellerräumen lagern konnten. Was am Morgen geliefert wurde, musste möglichst bei Geschäftsschluss verkauft sein. Kann man sich heute auch nicht mehr vorstellen.

Glueck und Glas von Lilli Beck Quelle: http://www.randomhouse.de

Eliza: Kommen wir zu den Protagonisten. Gab es „echte“ Vorlagen für Paul und Rosalie / Sarah?

Lilli: Beide Figuren sind rein fiktiv.

Eliza: Mit Sarah, die sich Rosalie nennt und als Pauls Schwester ausgibt, knüpfst Du an eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte an. Du hättest auch ein nichtjüdisches Mädchen Paul zur Schwester geben können. War dies für Dich ein jemals ein Thema?

Lilli: Der Plot basiert ja genau auf dieser Lüge. Ein nichtjüdisches Mädchen hätte keinen Grund gehabt, eine andere Identität anzunehmen. Sarah hatte sich jahrelang mit ihren Eltern versteckt, die Furcht vor den Nazis also verinnerlicht. Und als sie Paul am 25. April 1945, nach einem der schwersten Luftangriffe auf München begegnet, war der Krieg offiziell noch nicht zu Ende. Gerade in diesen letzten Tagen wurde überall noch der Endsieg verkündet. Für ein jüdisches Mädchen war die Gefahr sehr real.

Eliza: „Wie der Wind und das Meer“ spielt in München und Berlin, waren diese beiden Handlungsorte von Beginn an klar, wolltest Du bewusst West und Ost darstellen?

Lilli: Berlin als zweiten Handlungsort hat sich angeboten, da die Stadt immer schon weltoffener war als das katholische München, und der Berliner auch toleranter ist. Dort bildeten sich die ersten Kommunen, nicht zuletzt wegen der riesigen Wohnungen, die man sehr günstig mieten konnte. Ost West, die Teilung Berlins war kein Thema, und als Sarah nach Berlin geht, steht die Mauer auch noch nicht.

Eliza: Was ist Deiner Meinung nach ein Thema, welches viel mehr in den Mittelpunkt gerückt werden sollte? Welches nicht in Vergessenheit geraten sollte, was maßgeblich Deutschland nach 1945 geprägt hat?

Lilli: Rassismus in all seinen Formen. Weltweit sind Autokraten an der Macht und erst vor Kurzem haben deutsche Politiker die Katastrophe des 2. Weltkriegs und die Shoah ganz offiziell als „Vogelschiss“ verharmlost.

Mein, soeben als Taschenbuch erschienener Roman „Mehr als tausend Worte“ handelt vom Schicksal eines jungen jüdischen Mädchens und ihrer Familie während des Dritten Reichs. Bei der Recherchearbeit war ich fassungslos, wie heimtückisch die systematische Judenvernichtung geplant war und dabei vorgegangen wurde. Das System zielte mit immer neuen Verordnungen darauf ab, den Juden erst sämtliche Vermögenswerte abzunehmen und sie dann vollkommen zu vernichten.

Mehr als tausend Worte von Lilli Beck
Quelle: http://www.randomhouse.de

Nur ein paar Daten: Nach 1935 wurde es für Juden immer schwieriger, das Land zu verlassen. Die erste Maßnahme war, das Berufsverbot für Jüdische Künstler und Journalisten und die Nürnberger Rassengesetze, die Eheschließungen zwischen Juden und Nichtjuden verboten. 1938 kam dann das Verbot für Ärzte und Rechtsanwälte, die nur noch Juden behandeln und vertreten durften. Mit der Reichskristallnacht am 9. November 1938, den Plünderungen, dem Anzünden von Synagogen und den ersten Transporten in Konzentrationslagern hatten die Nazis deutlich demonstriert, was sie beabsichtigten: Deutschland sollte judenfrei werden.

Die zwölfjährige Herrschaft der Nationalsozialisten hat in Deutschland tiefe Spuren in der deutsche Gesellschaft hinterlassen, die bis ins Heute reichen. Ich erinnere mich an die Sechziger- und Siebzigerjahre, an den Minirock, die langen Haare, die Hippies, die Studentenunruhen. Bei Umfragen der damaligen Medien auf den Straßen, waren sich vielen „Normalbürger“ einig: „Unter Hitler hätte es so etwas nicht gegeben.“ Oder: „Die Langhaarigen hätte er ins Lager geschickt.“ Dergleichen abartige Sprüche hört man heute wieder bei Demonstrationen von Neonazis

Eliza: Welche Botschaft möchtest Du mit Deinen „Nachkriegs-Büchern“ vermitteln?

Lilli: Wenn meine Geschichten spannend sind, ich bei den Leser*innen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen und sie noch mehr von mir lesen möchten, habe ich viel erreicht.

Eliza: Darfst Du uns schon etwas zu Deinem neuen Roman erzählen?

Lilli: Er beginnt Silvester 1947 mit einem großen Fest, an dem Nora, meine Heldin ihre große Liebe kennenlernt.

Eliza: Oder was für Pläne hast Du noch? Gibt es ein Thema, über welches Du unbedingt schreiben willst?

Lilli: Meine Pläne-Schublade ist übervoll, Ausgangsideen habe ich also genug. Akut gibt es Zwei Projekte, die ich realisieren möchte.

Vielen herzlichen Dank für dieses Interview!