- Autorin!? Schon immer ein Traumberuf oder stand als Kind etwas ganz anderes auf der Wunschliste? Wie kam es bei Ihnen zum Schreiben?
Geschrieben habe ich immer. Es sollten auch von Anfang an unbedingt Romane sein, weder Tagebücher noch Gedichte – ich hab so einen Hang zum Ausschweifenden. Als Beruf habe ich das Schreiben aber nie betrachtet und das tue ich auch heute nicht. Ich wäre gern Archäologe geworden, hatte dazu dann aufgrund einer ausgeprägten Klaustrophobie nicht den Mut. Studiert habe ich Literaturwissenschaften, arbeite inzwischen als Literaturhistoriker in einem Museum und liebe es sehr.
- Was war die Initialzündung zu Ihrem neuen Roman?
Auf Smyrna bin ich gestoßen, weil ich einen Roman über Bagdad, Aleppo oder Damaskus schreiben wollte, über diese großen uralten Vielvölkerzentren, die von der Welt verschwinden und von deren Geschichte ich mir wünsche, dass sie unendlich oft und schreiend laut erzählt wird, dass wir um das letzte, was davon übrig ist, kämpfen, ehe wir sie ganz verloren haben. In der Verlagswelt stieß ich damit aber zunächst auf Widerstand. In meinem Hinterkopf war ein Da-war-doch-was-Gefühl, ich hatte mit großer Begeisterung Eugenides’ „Middlesex“ gelesen, und irgendwann begann ich, gezielt nach Berichten über Smyrna zu suchen. Sobald mir die Geschichte bewusst war, wollte ich sie um jeden Preis schreiben. Wir sind also schon mit der Geschichte im Kopf zum ersten Mal nach Izmir gefahren, aber Izmir erzählt tausend Geschichten. Man muss ein bisschen an der Oberfläche stochern, um die Spuren ihrer Vergangenheit zu finden, doch dann sind sie überall, und mit jeder Reise hat das Mosaik neue Teile bekommen.
- Wann und wo schreiben Sie am liebsten? Wie muss die Stimmung sein? Haben Sie einen genauen und geregelten Plan, oder schreiben Sie wie es gerade passt?
Da ich berufstätig bin und Familie habe, habe ich mir angewöhnt, morgens früh vor der Arbeit zwei Stunden zu schreiben. Da ist es still, und weder Kinder noch Kunden, weder Chefs noch Zeugen Jehovas wollen was von mir. Jetzt, wo meine Kinder größer und teilweise schon aus dem Haus sind, habe ich meist abends noch einmal zwei Stunden Zeit – und in der Endphase nehme ich die Nacht hinzu. Das funktioniert ganz gut. Zeit hat man ja nie genug. Eine besondere Stimmung brauche ich nicht, ich muss nur allein sein und relative Ruhe haben (Baugeräusche sind kein Problem. Stimmen ja.)
- Die Recherche ist für einen Roman sehr wichtig, was können Sie uns dazu verraten? Wie viele Notizbücher schreiben Sie voll, bis daraus ein Roman wird?
Viele. Sehr viele. Der ununterbrochene Notizbuchkauf ist in meiner Familie und unter unseren Freunden ein Treppenwitz. Ich brauche den ersten Schwung für die wilde Erst-Recherche vor Ort, den zweiten für die „geordnete“ Recherche, dann mindestens eines für die Planung und ein ganz dickes für die erste Fassung. Das ist das Minimum. Das absolute …
- Wie viele Fach- und Schachbücher haben Sie für diesen Roman gelesen, um den Background der Geschichte abzudecken?
Das lässt sich nicht zählen, weil der Themenkreis insgesamt ja kein neues für mich war, sondern eins, zu dem ich schon lange recherchiert und auch gearbeitet hatte. Das Thema ist gut belegt, es gibt jede Menge Primärquellen, die grandiose, sprudelnde Fundgruben sind, und auch ausgezeichnete Fachliteratur, weshalb man aus dem Lesen nicht herauskommt. Für mich ist die Recherche der schönste Teil der Arbeit und er nimmt auch am meisten Zeit in Anspruch. Eigentlich ist das gar keine Arbeit. Ganz und gar nicht. Neben Literatur und Recherche vor Ort sind für mich auch Gespräche mit Fachleuten und – wo möglich – Zeitzeugen oder deren Nachkommen sehr wichtig, zum einen weil ich ihnen Fragen stellen kann, auf die ich in keinem Buch, keiner Arbeit Antworten finde, zum anderen weil all das Unvorhergesehene, das diese Menschen erzählen und beisteuern, meiner Geschichte Farbe und Leben verleihen.
- Haben die Schauplätze in Ihren Romanen immer reale Vorbilder und wenn ja, haben Sie diese auch besucht? Gab es etwas Lustiges auf einer Recherchereise, dass Sie uns verraten würden?
Ich bin kein Autor, der über einen Ort, den er nicht kennt, schreiben könnte. Jeder Roman beginnt für mich mit Recherchereisen. In Izmir waren wir dreimal, dazu natürlich in Istanbul, in Gallipoli, in Yerevan und mehrmals in Portsmouth, um mit Experten der Royal Navy über Gallipoli zu sprechen. Lustiges, schönes, berührendes geschieht dabei ständig – ich habe immer das Gefühl, die Reisen erzählen mir meine Geschichte vor. Eines der schönsten Erlebnisse hatten wir bei einer Führung über die HMS M33, das letzte überlebende Schiff von Gallipoli, die auch den zweiten Weltkrieg überstanden hat, jetzt vor Portsmouth liegt und unendlich liebevoll von Angehörigen der Royal Navy betreut wird. Die junge Frau, die uns führte (und uns unter anderem die Tonaufnahme eines Gallipoli-Veteranen vorspielte, der ich die „For a good Turk“-Geschichte verdanke), erklärte, die M33 werde „the lucky ship“ genannt, weil sie das einzige Schiff sei, das sowohl den ersten als auch den zweiten Weltkrieg hinter sich gebracht hat, ohne ein einziges Leben zu verlieren. „And now“, sagte sie, „we will make sure that she never has to go out again“. Dabei kamen ihr die Tränen. Und uns auch.
- Haben Sie eine persönliche Lieblingsfigur in diesem Roman?
Und ob. Onkel Ulysses, seinen Koch Pericles und ihren Mops! Und Giagia. Das war jetzt mehr als eine, fürcht’ ich … zählen kann ich nicht.
- Entwickeln sich die Figuren immer so wie man es geplant hat? Oder haben die Figuren manchmal ein Eigenleben?
Dass meine Figuren ein Eigenleben entwickeln, hoffe ich sehr, denn sonst sind sie für den Leser ja pappig langweilig. Dem Plan entsprechend verhalten sie sich aber trotzdem – andernfalls würde das die Geschichte, die ich erzählen will, sprengen. Viele Figuren sind ja historisch verbürgt oder historisch verbürgten nachempfunden, da gibt es so sehr viel Spielraum nicht. Und bei denen, die ich dazu erfinden muss, versuche ich mir im Vorfeld sehr genau zu überlegen, was sie tun könnten und was nicht. Von Kollegen habe ich das schon mehrmals gehört, dass Figuren auf einmal tun, was sie „wollen“, aber um ehrlich zu sein – ich könnte damit wohl nicht umgehen.
- Lesen Sie Buchkritiken oder Rezensionen? Wenn ja, wie gehen Sie damit um?
Ich lese Literaturkritiken für mein Leben gern – und schon mein Leben lang. Allerdings eher (wenn auch nicht ausschließlich!) offline, in Printmedien. Ich bin da altmodisch und liebe knisterndes Zeitungspapier Meine Bücher werden dort nicht besprochen – aber die kenne ich ja auch. Rezensionen zu meinen eigenen Büchern, die online erscheinen, lese ich natürlich auch sehr gern, wenn sie mir – vom Verlag, vom Verfasser selbst oder von Lesern – zugestellt werden. Es ist unglaublich faszinierend, wenn in so einem Raum, in dem die Geschichte und ich monatelang allein waren, plötzlich ein dritter steht: der Leser. Allen, die das, was sie beim Lesen erleben, mit mir teilen, bin ich sehr dankbar. Ich lerne oft etwas daraus und vor allem macht es die Geschichten einfach „real“, nicht mehr so in meinen Schrank hinein gehustet. Eigens auf die Suche nach Rezensionen zu meinen Büchern mache ich aber nicht, das wäre zu zeitaufwendig. Umso wichtiger ist meine Facebook-Seite für mich geworden, wo ich mich über jeden Leserkontakt sehr freue.